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MUDIL – Musikalisches Distance Learning: Erfahrungen, Auswirkungen, Perspektiven

22.8.22, 21:00

Ein Forschungsbericht zu ausgewählten Ergebnissen einer Online-Befragung zumMusikunterricht während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020


MUDIL – Musikalisches Distance Learning ist ein kooperatives Forschungsprojekt der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Beteiligt sind das Institut für musikpädagogische Forschung, Musikdidaktik und Elementares Musizieren (IMP) sowie das Institut für Musiksoziologie (IMS).



ZUM FORSCHUNGSPROJEKT


Ausgangssituation


Die musikalische Bildung in Österreich war ab Mitte März 2020 unmittelbar und gravierend von der Krise um die Verbreitung von Covid-19 betroffen. Dies betraf den Musikschulunterricht ebenso wie den Musikunterricht an Regelschulen.


Für rund 200.000 Musikschüler_innen in ganz Österreich wurde der Präsenzunterrricht zwischen Mitte März und Mitte Mai 2020 eingestellt und fast ausnahmslos auf Distance Learning umgestellt. Die Konferenz der Musikschulwerke Österreichs(KOMU) veröffentlichte auf ihrer Website österreichweite good practice-Modelle und erarbeitete einen Leitfaden für die Wiederaufnahme von Einzel- und Kleingruppenunterricht ab Mitte Mai. Das gemeinsame Musizieren, Kooperationen mit Schulen und Vereinen u.a. konnten nur begrenzt oder gar nicht umgesetzt werden, wodurch die Ausbildung an Musikschulen nachhaltig beeinflusst wurde.


Auch im Regelschulbereich wurde per Mitte März 2020 der Musikunterricht ebenso wie der gesamte Schulbetrieb auf Distance Learning umgestellt. Nachdem das Fach Musikerziehung laut ministerieller Verordnung vom 24. April 2020 zunächst vollkommen ausgesetzt werden sollte, konnte der Musikunterricht nach zahlreichen Bestrebungen unterschiedlichster Interessenvertretungen und Fachverbände unterstützt durch Fachgutachten seitens der mdw wieder in den ab Mitte Mai laufenden Präsenzbetrieb an Schulen aufgenommen werden. Auch das Singen im Klassenverband, eine zentrale Aktivität im Musikunterricht, war zunächst untersagt und wurde erst per 30.5.2020 wieder als zulässig erklärt.


Forschungsprojekt MUDIL


Insgesamt waren die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Bereich der musikalischen Bildung im schulischen und musikschulischen Sektor also von dynamischen Entwicklungen und erheblichen Umbrüchen des Regelbetriebs geprägt – anders gesagt: Kein Stein blieb auf dem anderen. Eine vertiefende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen und Umbrüchen im musikalischen Lehren und Lernen in Österreich sowie den mit dem musikalischen Distance Learning verbundenen Risiken und Chancen – in unmittelbarer wie auch in längerfristiger Perspektive – ist das Ziel dieses Forschungsprojekts. Die Studie wirft einen möglichst breiten Blick auf die österreichische musikpädagogische Landschaft und beforscht die Arbeitsfelder von Musikschullehrenden sowie von Musikerzieher_innen an Schulen der Sekundarstufe.


Die gewählten Forschungsmethoden und ein für die Untersuchung entwickelter Fragebogen zielen auf eine Überprüfung zentraler Hypothesen ab, in denen die multiperspektivischen Forschungsexpertisen und Praxiserfahrungen der drei Studienautor_innen zusammenwirken, nämlich die Perspektive derMusikschulforschung, die Beforschung von Musikunterricht in Schulklassen sowie ein musiksoziologischer bzw. empirisch-sozialwissenschaftlicher Zugang. Darüber hinaus besteht ein grundsätzliches Interesse an der Beziehung zwischen digitalen bzw. netzbasierten Lehr-/Lernformen und der musikpädagogischen Community bzw. deren fachlichem Selbstverständnis. In einer Reihe von Pre-Tests im Juni 2020 wurden Rückmeldungen von Lehrer_innen verschiedener Schulformen und – typen und damit die Perspektive unterschiedlicher musikpädagogischer Realitäten in die Entwicklungeines Online-Fragbogens miteinbezogen.


Online-Befragung


Mittels des anonymen Online-Tools LimeSurvey erreichte dieser Fragebogen im Sommer 2020 beinahe 1.400 Lehrende an Musikschulen und Regelschulen der Sekundarstufe in ganz Österreich und Südtirol. In der Auswertung der Daten zeigte sich, dass 1.158 Personen den umfangreichen Fragebogen weitgehend vollständig ausgefüllt hatten und somit in die tatsächliche Auswertung einbezogen werden konnten. Nach Abschluss der Datenerhebung wurden die Ergebnisse in eine SPSS-Datenmatrix übertragen und ausgewertet. Das Antwortverhalten wurde mittels Häufigkeitsvergleichen anhand sozialer Merkmale und fachspezifischer Unterschiede untersucht. Alle in den Ergebnissen beschriebenen und interpretierten Zusammenhänge sind statistisch signifikant.


Die quantitative Erhebung stellt einen geeigneten Zugang dar, um verlässliche Aufschlüsse über unterschiedliche Einstellungen, Erfahrungen und Verhaltensweisen einzelner Lehrenden-Gruppen zu bekommen. Zu berücksichtigen waren dabei neben den sozialstrukturellen Merkmalen der Befragten wie Geschlecht, Alter und Wohnortgröße auch :


  • das Bundesland und der Schulstandort,


  • die Schulform, in der unterrichtet wurde,


  • die unterrichteten Fächer bzw. Arbeitsbereiche,


  • die (musikalischen) Stilbereiche, sowie


  • die Altersgruppe/n der unterrichteten Schüler_innen.


Der Fragebogen2 umfasste folgende inhaltliche Themenfelder :


  • technische und rechtliche Rahmenbedingungen sowie Ressourcen, speziell auf die musikalische Bildung bezogen (Hardware, Software, Tools & Apps, Datenschutz, Usability, unterstützende Quellen)


  • pädagogische Entwicklung im Unterricht und beim Lernen (Unterrichtsentfall, Kontakte, Unterrichtsformen, Üben/Hausaufgaben, Lernprozesse, Kompetenzerwerb, Arbeitsaufwand und Motivation bei Lehrenden und Lernenden)


  • Zukunftsaussichten – Potentiale und Risiken (Perspektiven, Aus- und Weiterbildung…).


Erwähnenswert ist, dass bei jenen insgesamt sechs Möglichkeiten im online-Fragebogen, bei denen ergänzende Anmerkungen und freie Textteile formuliert werden konnten, sehr viele Eintragungen vorgenommen wurden, was alsIndizfür eine hohe Betroffenheit der Befragten gewertet werden kann.


ERGEBNISSE


Darstellung der Ergebnisse


Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der Befragung in grafischer Form mit ergänzenden Kommentaren dargestellt. Die umfangreiche Datenlage erlaubte einerseits Gesamtperspektiven auf alle befragten Musiklehrenden, andererseits aber auch Detail- und Vergleichsauswertungen im Hinblick auf statistisch besonders signifikante Aspekte, wie etwa Unterschiede nach Schultypen (z. B. Musikschule im Vergleich zu Regelschule) oder nach Unterrichtssetting (z. B. Einzelunterricht im Vergleich zu Gruppenunterricht). Falls bei den einzelnen Diagrammen keine gesonderten Angaben zuden dargestellten Untersuchungssegmenten bzw. Vergleichsgruppen angegeben sind, beziehen sich die Diagramme jeweils auf die Gesamtheit der Teilnehmenden.


Teilnehmende


Von den 1.158 ausgewerteten Teilnehmenden an der MUDIL-online-Befragung unterrichten 951 an einer Landes- oder Gemeindemusikschule und 135 an privaten Musikschulen bzw. freiberuflich. 87 unterrichten an einer NMS, 136 an einer AHS und 19 an einer BHS. Bei 956 der 1.158 teilnehmendenMusiklehrenden liegt der Haupt-Arbeitsschwerpunkt im Musikschulbereich, bei 161 im Regelschulbereich.



79% der teilnehmenden Musiklehrenden arbeiten (auch) im Einzelunterricht, rund die Hälfte im Gruppen- und Ensembleunterricht und 17% mit Regelschulklassen.


93% der Musiklehrenden leben in Österreich, 6% in Italien3 , das restliche Prozent verteilt sich auf mehrere Nachbarländer. Die meisten Teilnehmenden arbeiten in Niederösterreich (27%) und Oberösterreich (23%), gefolgt von Tirol (11%). In Wien, Steiermark, Südtirol und Vorarlberg arbeiten zwischen 5% und 10% der Teilnehmenden, in Burgenland, Kärnten und Salzburg unter 5%.


Equipment



Mehr als eindeutig sind die Ergebnisse in Bezug auf die für das Distance Learning verwendete technische Ausstattung:


Die österreichischen Musiklehrenden waren zu 96% ausschließlich oder mehrheitlich auf die Nutzung privaten Equipments angewiesen.



Mehr als drei Viertel aller Musiklehrenden nutzten Laptop und/oder Smartphones, wobei die Musikschullehrenden das Smartphone tendenziell stärker nutzten. Generell ist mit steigendem Alter eine stärkere Desktop-Nutzung und geringere Smartphone-Nutzung zu verzeichnen. Eine mit 80% deutliche Tendenz zum Betriebssystem Windows zeigt sich bei den Lehrenden im Regelschulwesen, im Musikschulbereich liegt dagegen der Apple-Anteil mit rund 30% tendenziell höher. Apple-User unter den Musiklehrenden sind tendenziell eher männlich und im Stilbereich der Popularmusik beheimatet. Dies gilt auch für die Verwendung von zusätzlichen Peripheriegeräten (z.B. AudioInterface, USB-Keyboard u.ä.)



Musikschullehrende unterrichteten verstärkt live im Online-Unterricht, von den Regelschullehrenden hingegen wurden überwiegend asynchrone Kommunikationsformen genutzt. Rund zwei Drittel der Teilnehmenden konnten mit der Internetverbindung von ihrem Unterrichtsstandort aus auch einen Live-Online Unterricht gut umsetzen. Aus den optionalen offenen Antworten der Lehrenden lässt sich ablesen, dass dabei auch die Internetqualität auf Seite der Schüler_innen ein wichtiger Faktor war.


Rund 85% der teilnehmenden Musiklehrpersonen waren mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Equipment zufrieden, das zum Teil auch während des Lockdowns angekauft wurde.


Synchrone Kommunikation und Live-Online-Unterricht wurde besonders in Musikschulen eingesetzt, etwa über Skype, Zoom oder Telefonate, im Musikunterricht der Regelschule hingegen deutlich weniger – hier kamen dafür eher asynchrone Kommunikationsformen zu Anwendung, etwa überLernplattformen, online-Chats oder Mailverkehr.




Ähnlich unterschiedliche Ergebnisse zeigen sich bei der Verwendung von Software. Im Klassenunterricht kamen deutlich öfter Software der Kategorie “Lernumgebungen/Quiztools” zum Einsatz, die als Tools zur Versorgung mit Großgruppen geeignet sind, was für instrumentalen Einzeloder Kleingruppenunterricht an Musikschulen kaum interessant ist. Musiksoftware wird eher konservativ genutzt: Digitale Notation wurde von knapp der Hälfte der Musikschullehrenden, aber deutlich weniger der Klassenlehrenden oft oder manchmal genutzt. Andere musikspezifische Software auf Computern oder mobilen Endgeräten kamen selten bis nie zur Anwendung. Ein interessantes Detail: Auf die Frage nach der Nutzung von “online-Sequenzern” gaben mehr als zwei Drittel aller Befragten überhaupt keine Antwort, was ein Indiz dafür ist, dass solche eher neuen Tools weitgehend unbekannt zu sein scheinen.


Unterrichtsorganisation




Im folgenden Diagramm ist der Ausfall des Unterrichts an den Musikschulen anhand der anMusikschulen praktizierten Unterrichtsformen dargestellt.



Generell konnten Musiklehrende den Unterricht zu einem großen Teil aufrechterhalten und dadurch auch einen großen Teil der Schüler_innen erreichen. Dieser Wert wurde nach Ostern nochmals gesteigert.



Der Vorbereitungsaufwand ist bei einem Großteil der Lehrenden gestiegen. Ähnliches zeigt sich auch in der Kontakthäufigkeit zu den Schüler_innen, die zu einem Drittel als überdurchschnittlich hoch erlebt wurde. Zu den Eltern der Schüler_innen verzeichneten sogar rund die Hälfte der Lehrenden häufigere Kontakte als sonst.


Lehren und Lernen


Bei den Unterrichtsformen zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Musikschule und Regelschule: Die Arbeit mit Video (live-online oder aufgenommen) bzw. auch Live-Audioübertragung war in Musikschulen deutlich intensiver. Schriftliche Aufgabenstellungen und Video-Links wurden hingegen deutlich stärker im Klassenunterricht eingesetzt, wo auch mediale Projektarbeit etwas häufiger genutzt wurde.



Musiklehrende waren mit den Lernfortschritten ihrer Schüler_innen in der Lockdownzeit durchaus zufrieden. Rund 40% der Musiklehrenden erlebten ihre Schüler_innen als stärker motiviert, rund ein Viertel als weniger motiviert. Insbesondere verzeichneten sie Fortschritte bei ihren Schüler_innen hinsichtlich ihrer Eigenständigkeit bzw. ihres selbstverantwortlichen Lernen und Übens sowie der Medienkompetenz und des technischen Verständnisses.



Einen deutlichen eigenen Lernfortschritt erlebten Musiklehrende in Bezug auf technisches Verständnis und Medienkompetenz sowie in methodischer und pädagogisch-didaktischer Hinsicht durch geänderte Umgangsweisen und neue Materialien.


Unterstützung erfuhren Musiklehrende dabei in lokalen und regionalen Netzwerken, insbesondere von Kolleg_innen, Leiter_innen und Schüler_innen.



Perspektiven für die Zukunft


Rund zwei Drittel der Musiklehrenden planen auch nach dem Corona-Lockdown digitale Tools in ihren Unterricht zu integrieren. Dies betrifft insbesondere das Zurverfügungstellen von Materialien und Links sowie die Verwendung von Videos.


Zusammenfassung und Ausblick


Die ersten Ergebnisse dieser Studie bieten einen Überblick, wie Musikunterricht im CoronaLockdown stattgefunden hat und welche Erfahrungen und Einschätzungen die Lehrenden daraus mitnehmen. Eindeutig festzustellen waren ein erhöhter Arbeitsaufwand, eine besonders für musikspezifische Anforderungen unzureichende technische Infrastruktur und der schmerzliche Verlust des gemeinsamen Musizierens. Trotzdem konnte der Musikunterricht im Distance Learning überwiegend umgesetzt werden. Insbesondere wurde Live-Online-Unterricht eingesetzt, Videoaufnahmen ausgetauscht und Materialien übermittelt. Die Lehrenden haben durch diese Erfahrungen neue Kompetenzen im Bereich digitaler Medien sowie in methodischer und pädagogisch-didaktischer Hinsicht gewonnen. Auch der Lernzuwachs der Schüler_innen wurde durchaus zufriedenstellend bewertet, ihre höhere Eigenständigkeit als besonders positiv erlebt.


Das musikalische Distance Learning wird von der Mehrheit der Lehrenden als Ergänzung,Überbrückung bzw. zeitlich befristetes Phänomen eingeschätzt. Dennoch planen rund zwei Dritteleinen Einsatz digitaler Tools auch für die Zeit nach Corona.


Die MUDIL-Studie wird auch im Jahr 2021 fortgeführt, um die weiteren Entwicklungen undAuswirkungen des musikalischen Distance Learning zu untersuchen.


Wien, im Januar 2021



Weitere Informationen


Article Source : https://pub.mdw.ac.at/publications/7873cc18-011a-4a96-94c5-7e4578c0ea41/


Projektwebsite : www.mdw.ac.at/imp/mudil/

Ass.Prof. MMag. Dr. Wilfried Aigner aigner-w@mdw.ac.at

Prof. Mag. Dr. Michaela Hahn hahn-m@mdw.ac.at

Assoz.Prof. Dr. Michael Huber huber-m@mdw.ac.at

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